"Essen gehen"

Dreimal am Tag heißt es pünktlich zum Essen aufzubrechen. Die Kantine ist ein riesiger Speisesaal, in dem in einem Durchgang etwa 300-400 Kinder mit ihren Gruppenleitern essen können. Logisch dass es hier Essenszeiten gibt, an die wir uns zu halten haben.

Blöd ist nur, dass dieser "Fress-Würfel" oben auf dem Berg steht, unsere Bungalows aber unten in einer Talsohle liegen! Also heißt es täglich dreimal den Berg hinaufquetschen. Wir nehmen meist gleich den steilen Weg hinten an unseren Häusern hinauf, der uns am Heizwerk vorbei zur Kantine führt.


Der "offizielle Weg" aber führt vorn an der Lagerleitung vorbei und dann die sogenannte "Hungertreppe" hinauf. Spätestens am zweiten Tag wissen wir, warum die so heißt. 111 Stufen führen den Berg hinauf. Ist man endlich oben angekommen, hat man sich das Essen wohl wahrlich verdient. Selbst unsere Kinder stöhnen, wenn wir diesen Weg zum Essen nehmen.

Die Hungertreppe besitzt nur auf der rechten Seite ein Geländer zum Hochziehen. Bergabwärts heißt es mal schön Balancieren und die Schwerkraft genießen. So ist es vereinbart - und alle halten sich dran...

... Fast alle, denn eines Tages sorgt diese Treppe für Konflikte. Axel und Falko berichten uns, dass ihnen beim Aufstieg eine Gruppe polnischer Jugendlicher entgegenkam - auf der falschen nämlich der Geländerseite.
Vielleicht wollten die Polen ein wenig provozieren, jedenfalls gab ein Wort das andere und als das Wort "Nazis" fiel, war für unsere Beiden die Grenze überschritten. Seither blockieren Axel und Falko die Treppe und wollen ihren "Sitzstreik" mit ihren Gruppen erst beenden, wenn es hier zu einer (politischen?) Lösung kommt.

Ich kann mich nicht mehr erinnern, wie lange dieser Sitzstreik währte und wie die Sache ausging. Auf alle Fälle empfinde ich das heute als eine engagierte und zu dieser Zeit auch mutige Aktion.


Oben an der Kantine angekommen können wir beim Schlange-stehen erst einmal etwas verpusten. "Was gibt's n heute?" war meist die erste neugierige Frage. Wir achten schon mal penibel darauf, dass der Tischdienst funktioniert und einen Tisch für unsere Gruppe organisiert.

Freilich nehmen wir als Letzte der Gruppe unser Essen in Empfang. Heute gibt es (mal wieder) Makaroni mit roter Soße. Ich habe kaum den ersten Bissen hinunter, als ich in meinen Nudeln eine große tote Fliege finde! Also hier darf man wirklich nicht gerade zart besaitet sein...
Mit ein paar deutlichen Worten knalle ich den Küchenfrauen den Teller auf den Tresen. Die tun auch noch beleidigt, warum ich hier so einen Aufstand mache...
Weitere Erinnerungen an das Essen habe ich inzwischen nicht mehr - wahrscheinlich war es besser, diese schnell zu verdrängen. Außer eines noch:

Wir sind hier in einem "internationalen Pionierlager". Das sieht man sogar an den Verpflegungsbeuteln, die ausgegeben werden wenn ein größerer Ausflug ansteht und dadurch das Mittagessen ausfällt. Unsere BUNA-Kinder haben Äpfel in ihren Beuteln, die "Gäste" aus Westberlin und anderen Ländern eine Apfelsine oder eine Banane. "Druschba - Freundschaft!"

Na da wollen wir dazu doch mal unsere "F's" fragen, wie eine solche Zweiklassen-Gesellschaft sein kann. Bestimmt bauen sie dann wie gelernt eine entsprechende Argumentationslinie auf...

Ich glaube mich erinnern zu können, dass unsere Diskussion über die Verpflegungsbeutel tatsächlich dazu führte, dass später alle das Gleiche bekamen. Ob aber nun die Westberliner auch Äpfel erhielten oder unsere Kinder tatsächlich Südfrüchte? Wer erinnnert sich noch?